7 Minuten Lesezeit
GAMING
7. MÄRZ 2023

Generation Gaming: Tipps für Eltern von gamenden Kindern

Interview mit Koen Schobbers, dem ersten niederländischen E-Sportler mit professionellem Spitzensport-Status und Autor des Buches 'Mijn gamende kind' („Mein gamendes Kind“, derzeit nur auf Niederländisch erhältlich).

Wir treffen Koen Schobbers an einem verregneten Wintertag in einem angesagten Café neben dem Bahnhof von Gouda (Niederlande). Er ist gerade von einem Wochenende in Istanbul (Türkei) zurückgekehrt, wo er an der Global Esports Federation teilgenommen hat. Seit er im Alter von 15 Jahren zum Profi-Gamer (E-Sportler) wurde, haben Videospiele eine zentrale Rolle in seinem Leben. Eine zentrale Rolle, aber nicht die Hauptrolle. Denn Koen treibt auch Sport – was für professionelle Gamer sehr wichtig ist – und hat Medizin studiert.

Computer-, Handy- und Videospiele sind seit Langem ein beliebtes Hobby – in sämtlichen Altersgruppen, sozialen Schichten und bei allen Geschlechtern. Zudem ist Gaming mittlerweile zum Leistungs- und Spitzensport geworden. Gaming ist also längst keine Randerscheinung mehr, sondern ein Teil des Alltags. Woran liegt es dann, dass Computerspiele von vielen Menschen, vorwiegend Eltern, so negativ bewertet werden? Und warum führt Gaming bei Kindern häufig zu Konflikten zwischen Eltern und Nachwuchs?

Vom E-Sportler zum Experten

Schon als kleiner Junge liebte Koen Autos, Rennen und Geschwindigkeit. Statt eine Karriere im Motorsport anzustreben, hielten seine Eltern es für sicherer, ihren Sohn virtuelle Rennen fahren zu lassen. Zunächst gewann noch sein Vater im Spiel Trackmania, doch einen Tag später erwies sich Koen bereits als der bessere virtuelle Rennfahrer. Er selbst begriff noch nicht, wie gut er war – aber schon bald wurde er von einem Team als Profi-Rennfahrer entdeckt und angeworben. Und so begann Koens Karriere als Profi-Gamer, wodurch die Beziehung zu seiner Mutter eine Wendung nahm, da sie nur wenig mit der Gaming-Welt anfangen konnte.

Der Vertrag wurde unter der Voraussetzung klarer Regeln für Koens Spielverhalten unterzeichnet: Er dürfe nur dann professionell gamen, wenn sich seine schulischen Leistungen nicht verschlechtern würden. „Die Schule war aber nicht das Problem, sondern die Beziehung zu meiner Mutter, wir haben einander nicht verstanden“, sagt Koen. „Mein Vater interessierte sich für mein Hobby, aber meine Mutter nicht, also habe ich nicht mit ihr darüber gesprochen." Er wandte sich immer mehr seinem Vater zu und redete immer weniger mit seiner Mutter. „Wir haben uns auseinandergelebt“, sagt Koen, und die Gefühle aus dieser Zeit kann man ihm auch heute noch deutlich ansehen. „Es war eine schmerzhafte Erfahrung, aber als Kind ist man nicht derjenige, der den ersten Schritt macht. Man kann machen, was man will, aber die Eltern haben das Sagen. Sie entscheiden, wo die Veränderung stattfinden soll.“

Ein Junge mit Cappy in kariertem Hemd spielt ein Rennspiel auf der PS5.

Essenziell: Die Kommunikation mit den Kindern

Erst als seine Mutter ein Buch des amerikanischen Psychologen Thomas Gordon zur Kommunikation mit Kindern las und die Ratschläge direkt auf ihren Sohn anwandte, änderte sich vieles und verbesserte sich ihre Beziehung allmählich wieder. Nachdem Koen beim Trackmania World Cup dann den dritten Platz belegte und dadurch die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog, wandelte sich die Situation vollständig: Plötzlich erntete das zockende Kind nicht mehr die kritischen Blicke anderer Eltern, sondern war ein erfolgreicher Profi-Gamer. Das Stigma, mit dem Gaming leider immer noch behaftet ist, trug dazu bei, dass Koens Mutter einige Zeit benötigte, um sich mit dem Hobby und der späteren Karriere ihres Sohnes anzufreunden. Sobald sich die Kommunikation zwischen Mutter und Sohn verbesserte, wurde es auch einfacher, Vereinbarungen zu treffen. Es führte zu mehr Verständnis auf beiden Seiten, was ihrer Beziehung und der Familie sehr guttat.

Dann tauchten ähnliche Kommunikationsprobleme und Fälle von Kindern, die nach Meinung der Eltern computerspielsüchtig seien, auch in Koens Umfeld auf. „Meine Eltern und ich hatten das schon erlebt, wir wussten also genau, was los war", sagt er. Angetrieben von seinen eigenen schmerzhaften Erfahrungen und seiner steilen Lernkurve, organisierte er 2016 einen Workshop, um Eltern beim Umgang und der Kommunikation mit Kindern, die Videospiele spielen, zu helfen. 2017 begann er, sein gesamtes Wissen aufzuschreiben – was schließlich 2018 die Grundlage für sein Buch bildete.

Letztendlich beendete Koen seine Arbeit im E-Sport, um sich voll und ganz auf seine neue Karriere konzentrieren zu können: So wurde er allmählich zum Experten für die Kommunikation zwischen Eltern und ihren zockenden Kindern und gründete die niederländische Plattform Parents of Play.

Autor Koen Schobbers mit seinem Buch „Mijn gamende kind“ („Mein gamendes Kind“) in Händen.

Leidet mein Kind an Computerspielsucht? Tipp: Wahrscheinlich nicht!

Nicht jedes Kind, das gerne spielt, ist computerspielsüchtig. „Eltern oder Betreuer kommen oft vorschnell zum Entschluss, dass ihr Kind computersüchtig ist", sagt Koen. Inspiriert davon, wie seine Mutter wieder Kontakt zu ihm aufnahm, nachdem er der erste niederländische E-Sport-Profi mit Spitzensport-Status wurde, veröffentlichte er 2020 das Buch „Mijn gamende kind“ („Mein gamendes Kind“). Darin beantwortet er einige der häufigsten Fragen, die Eltern von gamenden Kindern sich zu Computersucht und Co stellen, gibt praktische Tipps für eine bessere Kommunikation mit den Kindern und für mehr gegenseitiges Verständnis. Das Buch erklärt auch, wie man vernünftige Vereinbarungen zum Spielverhalten des Kindes treffen und so eine solide Gesprächsgrundlage schaffen kann.

Koen ist sich bewusst, dass dies nicht an einem Nachmittag erledigt ist, und macht auch keine falschen Versprechungen. Es kann ein langer Weg sein, bis man gemeinsam mit dem Kind zu guten Absprachen bezüglich des Gaming-Verhaltens kommt. Aber gut, Erziehung ist nun mal eine Menge Arbeit. Man sollte darauf vorbereitet sein, dass beide Seiten am Anfang gereizt reagieren können. Hier gilt es, geduldig zu bleiben und weiterhin konsequent den offenen Dialog zu suchen, bis gute Regeln für das Videospielen vereinbart sind. Man kann zum Beispiel damit anfangen, jeden Sonntag gemeinsam die Woche zu planen, sollte aber gleichzeitig darauf achten, dass der Prozess locker und flexibel bleibt.

„Ratschläge wie 'Reduzieren Sie die Gaming-Zeit Ihres Kindes auf zwei Stunden pro Tag' bringen einen nicht sehr weit", weiß Koen. „Denn im Kopf des Kindes wird diese Vereinbarung schnell zu 'Ich muss zwei Stunden am Tag spielen', und das will man ja auch nicht.“ Schließlich ist jeder Tag, jeder Haushalt und jede Situation anders. Allgemeine Empfehlungen zur täglichen Stundenzahl, die ein Kind für Computerspiele nutzen darf, gibt Koen also nicht.

Stattdessen rät er, vom allgemeinen Tagesplan auszugehen – für Schule, Hausaufgaben, Sport, Tanzunterricht usw. „Man muss schauen, wo Videospiele gut dazwischen passen. Auf diese Weise wird es sich bald nicht mehr wie eine Einschränkung anfühlen, sondern ganz natürlich.“ Wenn Gamen wie ein ganz normales Hobby behandelt wird, das gesunde Grenzen braucht, unterscheidet es sich nur noch wenig von anderen Aktivitäten wie z. B. draußen mit Freunden Fußball zu spielen.

Computerspielsucht – Symptome erkennen

Nach wie vor wird das Spielen von Computer-, Handy- oder Videospielen häufig missverstanden und stigmatisiert – und schnell kommt der Verdacht, dass ein Kind videospielsüchtig ist. Wer ein gesundes Gleichgewicht findet, kann einer Computerspielsucht jedoch einfach vorbeugen. Hierfür hat Koen das Konzept des Gaming-Kreises mit fünf Bereichen entwickelt (niederländisch „Spel Schijf van Vijf“): Schlafen, Lernen, Sport, soziale Kontakte und Gaming. Dabei darf das Gamen die anderen Lebensbereiche nicht beeinträchtigen: Werden zwei oder mehr Bereiche durch Spielkonsole und Co regelmäßig ernsthaft vernachlässigt, besteht die Gefahr einer Videospielsucht.

Das Spielen darf also nicht auf Kosten von Schlaf, sozialen Aktivitäten, schulischen oder beruflichen Leistungen und Sport erfolgen. Selbst niederländische Organisationen wie „De Opvoedpoli“ (Jugend- und Erziehungshilfe) und „Jellinek“ (eine der größten Suchtberatungs-Einrichtungen in den Niederlanden) verwenden dieses Konzept mittlerweile zu Diagnosezwecken. Möchten Sie mehr darüber erfahren, ab wann Zocken eine Sucht ist? Genaueres zum Gaming-Kreis und dem Erkennen von Computerspielsucht bei Kindern lesen Sie in unseren nächsten Artikeln.

Zwei LEGO-Figuren reparieren einen zerlegten Game-Controller.

„Mein gamendes Kind": Tipps für ein gesundes Zuhause

Ist Zocken schädlich? Koen ist der lebende Beweis dafür, dass ein junger Gamer gute schulische Leistungen erbringen und einen gesunden, aktiven Lebensstil führen kann, solange er zu Hause richtig begleitet wird. Wenn das Gamen bei Ihren Kindern für Probleme sorgt und die Kommunikation angespannt verläuft, dann können die Tipps von Koen Schobbers, die wir für Sie übersetzt haben, hoffentlich helfen.

Gaming macht Spaß, genau wie viele andere Hobbys, also gönnen Sie Ihrem Kind die Freude am Videospielen und schenken Sie ihm genug Aufmerksamkeit. Zeigen Sie Interesse und Engagement. Vielleicht sind die Spiele nicht das Hobby, das Sie im Sinn hatten, aber versuchen Sie offen zu sein für das, was Ihr Kind interessiert. Indem Sie Ihrem Nachwuchs zuhören und echtes Interesse zeigen, fördern Sie die Verbundenheit. Zudem werden Sie auf mehr Verständnis stoßen, wenn Sie gesunde Grenzen setzen. Sie müssen nicht gleich selbst den Controller in die Hand nehmen – aber wer weiß, vielleicht haben ja auch Sie Spaß daran!

Wir hoffen, dass diese Tipps hilfreich waren! Machen auch Sie sich Sorgen um das Spielverhalten Ihres Kindes oder möchten Sie einfach gerne mehr zum Thema lesen? Dann können Sie sich auf weitere Artikel über Gaming-Verhalten und Computerspielsucht bei Kindern freuen: In den kommenden Monaten wird Koen Schobbers seine Ratschläge für Eltern von gamenden Kindern in einer Reihe von Gastartikeln für das Dundle Magazine zusammenfassen.

Übersetzt durch Astrid Dontje

Daniël de Zwart
Geschrieben von Daniël de Zwart